Michał Kalecki ist in Deutschland nahezu unbekannt.
Dabei verdanken wir ihm wesentliche gesamtwirtschaftliche Einsichten. An zentraler Stelle steht sein dictum

„The workers spend what they get, and capitalists get what they spend.“

Die Arbeiter geben aus, was sie verdienen, die Unternehmen verdienen, was sie ausgeben. Die Arbeiter geben ihren Lohn an die Unternehmer zurück, um ihnen das abzukaufen, was sie für ihren Lebensunterhalt benötigen. Die Unternehmen – als Gesamtheit genommen – bestimmen dagegen durch ihr Ausgabeverhalten, also durch ihren Konsum und ihre Investitionen, was sie einnehmen. Die Ableitung dieser Behauptung soll hierschrittweise nachvollziehbar gemacht werden. Ich folge hier der vereinfachten Darstellung der Gedanken von Michał Kalecki durch Günther Grunert auf Makroskop (Günter Grunert). (Für erste Informationen über Kalecki siehe: Wikipedia).

Wir vereinfachen zunächst und betrachten eine geschlossene Volkswirtschaft und beziehen auch den Staat nicht mit ein:

 

Im Folgenden werden wir schrittweise Gleichungen anwenden. Dabei benutzen wir diese Abkürzungen:

Man kann das Bruttonationaleinkommen nicht nur von der Einkommensseite her sondern auch von der Ausgabenseite
(Verwendung) her sehen. Der Konsum und die Investitionen (Verwendung) müssen in diesem einfachen Modell gleich groß sein wie die Summe von Löhnen und Gewinn (Einkommen). Diese Gleichung ist nicht etwa eine empirische Tatsache sondern das Ergebnis der Definitionen, dass das Bruttonationaleinkommen aus den beiden betreffenden Bestandteilen besteht, ebenso das Bruttonationalprodukt, das hier wiederum dem Bruttonationaleinkommen entspricht.

In Zeile 3 ist unter der Gleichung ein Verweis auf Zeile 1 und 2 notiert. Das heißt, dass sich aus den beiden Zeilen 1 und 2 die Gleichung in Zeile 3 schließen lässt. Dementsprechend ergibt sich aus Zeile 3 die Gleichung in Zeile 4.

Unser erstes Zwischenergebnis lautet also:
Der Gewinn der Unternehmer (als Gesamtgruppe) ist gleich der Summe des Konsums und der Investitionen.

Im nächsten Schritt teilen wir den Konsum (Gesamtkonsum C) in den Konsum der Arbeitnehmer und den Konsum der Unternehmer auf:

Wir gehen in Zeile 7 davon aus, dass die Arbeitnehmer nicht sparen und ihre Löhne am Ende des Monats wieder komplett in der Kasse der Unternehmer landen. Als neues Zwischenergebnis ergibt sich, dass der Konsum der Gruppe der Unternehmer dem Gesamtkonsum abzüglich der Löhne entspricht.

Aus den bisherigen Gleichungen können wir schon für unser einfaches Modell eine wichtige Schlussfolgerung ziehen: DFer Gewinn setzt sich aus Unternehmergewinn und Investitionen zusammen!

Auf Grundlage der Gleichung 8 fragt Kalecki, auf welche Größe innerhalb der Gleichung die Unternehmer direkt bestimmenden Einfluss nehmen können. Sie können jedenfalls nicht willkürlich ihren Gewinn festlegen, wohl aber wie viel sie für ihren Konsum und ihre Investitionen ausgeben. Damit haben wir das Ergebnis, dass sie ihren Gewinn indirekt über ihre Investitions- und Konsumentscheidungen bewirken.

Im nächsten Schritt wollen wir das Modell verkomplizieren, indem wir zu den bislang verwendeten Größen den Staat, das Ausland und das Sparen hinzunehmen. Wir  betrachten wieder die Einkommensseite und die Ausgabenseite (Verwendung) und wir gehen der Einfachheit halber davon aus, dass die Differenz von Exporten und Importen der Leistungsbilanz entspricht

Wir haben in Zeile 9 die Verwendungsseite, die wie üblich den Konsum, die Investitionen, die Staatsausgaben und die Auslandsverwendung ausweist. Zum ersten mal erscheint hier der Staat mit seinen Ausgaben G und das Ausland als Nettogläubiger, wenn NX, also die Differenz von Exporten und Importen, negativ ist, oder als Nettoschuldner, wenn NX positiv ist, das Ausland also mehr Leistung bezieht als liefert.

Diese Gleichung 9 ist wieder wie die anderen Gleichungen keine empirisch zu überprüfende These sondern eine gegenüber der Gleichung 1 differenziertere definitorische Aufschlüsselung, woraus das Bruttoinlandsprodukt besteht, wenn es sich um eine Volkswirtschaft mit Staat und wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland handeln soll. (Alle weiteren Gleichungen hier sind Umformungen und Ableitungen, die ebenfalls nicht empirisch sind, sondern analytisch.)

In Zeile 10 haben wir den Gesamtkonsum in den der Unternehmer (Cp) und den der Arbeitnehmer (Wn – Sw) aufgeschlüsselt. Wn sind die Löhne nach Steuern, und Sw ist der Betrag, den die Arbeitnehmer von ihrem Lohn sparen. In der Gleichung 9 wird nun C durch diese Aufschlüsselung ersetzt, und wir erhalten Gleichung 10.

Gleichung 11, die Einkommensseite des Bruttonationalproduktes, differenziert die Gleichung 2 durch Hinzunahme des Staates. Das Gesamteinkommen teilt sich nunmehr auf in den besteuerten Gewinn, die besteuerten Löhne und in die Steuern. Der Staat hat sich hier also durch Besteuerung einen Teil des Bruttonationaleinkommens verfügbar gemacht.

Wir können nun im nächsten Schritt die beiden rechten Seiten der Gleichungen 10 und 11  zu der Aufstellung der neuen Gleichung 12 nutzen. Denn in den Gleichungen 10 und 11 ist die linke Seite identisch.

In Zeile 13 haben wir die Gleichung nach dem Gewinn aufgelöst und auf der rechten Seite die einzelnen Ausdrücke neu geordnet. Wir können nun Wn, die Löhne nach Steuern, wegkürzen. Die Staatsausgaben G und die Steuern T haben wir zusammengestellt, so dass wir mit G – T das Budgetdefizit bzw. den Budgetüberschuss des Staates haben.

In Zeile 14 sind im Ziel angelangt und haben auf der rechten Seite eine Aufzählung aller Determinanten für die Höhe des Gesamtgewinns der Unternehmer:

Wir haben vier Determinanten, die den Gewinn der Unternehmer steigern und eine, die ihn senken. Die Unternehmer können ihren Gewinn selbst steigern durch eigenen Konsum oder Investitionen. Zusätzlich wird der Gewinn durch staatliches Budgetdefizit und durch Auslandsverschuldung gesteigert. Sparen der Arbeitnehmer senkt dagegen den Gewinn. Das alles gilt natürlich nur, solange diese Werte positiv sind. Wenn sie negativ werden, wenn wir also einen Budgetüberschuss haben oder wenn wir einen negativen Leistungsbilanzsaldo haben, das Ausland also Gläubiger wird bzw. seine Schuldenposition verringert, sinkt entsprechen der Gewinn der Unternehmer.

Konsum- und Investitionszurückhaltung der Unternehmer, Sparen des Staates, der Arbeitnehmer oder des Auslandes haben also rezessive Wirkung auf die Volkswirtschaft. Die rezessive Wirkung einer Determinante müsste durch die stimulierende Wirkung einer anderen Determinante ausgeglichen werden, um ein Sinken des Bruttonationalproduktes abzuwenden. Im Fall von Deutschland ist es die exorbitante Auslandsverschuldung, die das Sparen der Privaten, die „Schuldenbremse“ des Staates und die Investitionszurückhaltung der Unternehmer ermöglicht.

Unterschiede zur Mainstream-Ökonomie

Wie unterscheidet sich die Analyse von Kalecki von der, die in Deutschland an den Universitäten allgemeiner Standard zu sein scheint?

  • In der Mikroökonomie kommt kein Unternehmergewinn vor.
  • Dort gibt es einen Preis für den Faktor Kapital, der seine Knappheit ausdrückt.
  • Dieser Preis bildet sich angeblich am Markt.
  • Dem Budgetdefizit wird gewinnmindernde Wirkung attestiert, zumindest ab einer bestimmten Höhe.
  • Das Sparen wird zur Voraussetzung für Investitionen erklärt und positiv bewertet.

Alle diese Punkte stehen in direktem Gegensatz zur Analyse von Kalecki. Bieten sie eine Grundlage für Einwände gegen Kaleckis Darstellung? Im Gegenteil! Wie an anderer Stelle ausführlich darzustellen ist, wird für Investitionen kein vorgängiges Sparen benötigt. Die moderne Kreditwirtschaft, das moderne schuldbasierte Geldsystem, bietet keine Begrenzung mehr. Die Grenzen sind realwirtschaftlich. Kredite kann das Bankensystem grundsätzlich unbeschränkt realisieren. Sparen ist, wie aus der gesamtwirtschaftlichen Analyse von Kalecki hervorgeht, immer gewinnmindernd, wenn es nicht gleichschrittig durch Verschuldung sterilisiert wird. Auf die Kosten der Kredite (in der mikroökonomischen Sprache: Preis des Faktors Kapital) hat der Markt nur nachrangig Einfluss. Die Kreditkosten werden hauptsächlich durch die Geldpolitik der zuständigen Zentralbank, d. h. willkürlich bestimmt.

Speziell zum Thema der Staatsschulden vgl. diese Artikel:

Staatsschulden Teil 1

Staatsschulden Teil 2

Staatsschulden Teil 3

Staatsschulden Teil 4