Zutaten und ein Rezept guter Wirtschaftspolitik

Im ersten Teil  (Wirtschaftspolitik – Teil 1) haben wir einige wenige Höhe- und Tiefpunkte in der Geschichte des wirtschaftspolitischen Instrumentariums der Bundesrepublik Deutschland beleuchtet. Im zweiten Teil soll ein Überblick über grundsätzlich für einen Staat verfügbare Instrumente gegeben werden und der wichtigste Referenzrahmen für die Beurteilung des Einsatzes dieser Instrumente verdeutlicht werden.

Wirtschaftspolitik im weitesten Sinne ist staatliches Handeln, das mindestens eines der folgenden zwei Kriterien erfüllt: 1.) Es ist verbunden mit der Verausgabung oder Beschaffung staatlichen Geldvermögens. 2.) Es hat Einwirkungen auf den Besitz oder Erwerb privaten Geldvermögens. (Das zweite Kriterium ist für das erste eine condition sina qua non.) Wirtschaftspolitik im engeren Sinne liegt vor, wenn staatliches Handeln zusätzlich auf den Fortgang der wirtschaftlichen Entwicklung – im größeren und kleineren Rahmen – zielt. Als größtes und stärkstes wirtschaftspolitisches Instrument ist die Fiskalpolitik mit der Beschaffung von Geldmitteln für den Fiskus – u. a. Steuerpolitik – und der Verausgabung dieser Mittel zu nennen. Die Geldpolitik, Währungspolitik und Handelspolitik sind ebenfalls zentrale Felder. Als weitere große Felder seien nur beispielhaft genannt: Bildung, Arbeitsrecht, Vertragsrecht, Infrastruktur: Verkehr, Energie etc.

Der stärkste Hebel: Fiskalpolitik

Die Fiskalpolitik ist das große Instrument der wirtschaftspolitischen Globalsteuerung („global“ heißt hier: die gesamte Volkswirtschaft betreffend). Entscheidend ist, wieviel der Staat ausgibt und wie viele seiner Ausgaben er durch Steuern refinanziert. Grundsätzlich kann ein Staat, der eine eigene Währung und eine eigene Zentralbank besitzt, seine Ausgaben immer ohne Refinanzierung durch Steuern oder Staatsanleihen tätigen. (Vgl. Steinhardt) Dies gilt für Ausgaben im Bereich der eigenen Volkswirtschaft, in der die staatlich festgesetzte Währung gilt. Für Ausgaben zur Bezahlung von Leistungen, die aus einem anderen Währungsraum stammen, gelten andere Bedingungen. Die Lieferanten müssen in diesem Fall entweder die Währung des die Leistungen beziehenden Landes akzeptieren, wie dies mit dem Dollar im Fall der USA der Fall ist, oder das beziehende Land muss über ausreichende Währungsreserven verfügen, die immer endlich sind.

Zentralbank kann Staat mit beliebig viel Geldmitteln versorgen …

Diese besondere Potenz des Staates für Ausgaben ohne die Notwendigkeit der Refinanzierung durch Steuern oder Anleihen ergibt sich aus der Möglichkeit des Staates, sich bei der eigenen Zentralbank ein gewünschtes Guthaben gutschreiben zu lassen, dem in der Zentralbankbilanz eine gleich große Verbindlichkeit des Staates gegenübersteht. Da die Zentralbank aber dem Staat gehört, ist es letztlich eine Verbindlichkeit des Staates gegenüber sich selbst. Insoweit der Staat sich auf diesem Wege die Bezahlung seiner Einkäufe etc. ermöglicht, vermehrt er die Geldmenge in der Volkswirtschaft. Insoweit in dieser Volkswirtschaft ungenutzte Kapazitäten existieren, frei verfügbare Arbeits- und Produktionskapazitäten, wirkt diese Geldmengensteigerung stimulierend und baut Arbeitslosigkeit ab. Ohne diese latenten Kapazitäten ist Inflation zu erwarten.

…, wenn er in eigener Hoheit über eine Fiat-Währung verfügt

Die prinzipiell unbegrenzte Finanzierbarkeit der Staatsausgaben durch die eigene Zentralbank ist ein direktes Ergebnis der staatlichen Hoheit in allen Belangen der eigenen Währung. Im modernen System der Fiat-Währung bedarf es über die staatliche Inkraftsetzung keiner weiteren Deckung des Geldes, etwa durch Edelmetall. Ein Buchungssatz, der auf dem Staatskonto bei der Zentralbank zu einer Gutschrift führt, ist voll ausreichend. Der Staat kann es dann z. B. zur Begleichung von Rechnungen oder für die Auszahlung von Unterstützungen an Geschäftsbanken weiterreichen, die ihrerseits Gutschriften für die endgültigen Empfänger vornehmen.

Mit oder ohne Geldvermehrung: Finanzierung durch Staatsanleihen

Wenn die Staatsausgaben durch die Begebung von Staatsanleihen refinanziert werden sollen, sind zwei Fälle zu unterscheiden: Wenn Geschäftsbanken diese Anleihen kaufen und in der eigenen Bilanz halten oder an die Zentralbank weiterverkaufen, wird mit der Verausgabung der neuen Mittel durch den Staat neues Giralgeld geschöpft. Im Endeffekt bleibt die Zentralbankgeldmenge unberührt oder wird erhöht bei Weiterverkauf an die Zentralbank, und im Privatsektor ist die Geldmenge um den Anleihenbetrag angestiegen. Wenn die Geschäftsbanken die Anleihen an den Privatsektor weiterverkaufen, würde Giralgeld in entsprechender Menge „vernichtet“. Die konsolidierte Bilanz des Geschäftsbankensektors hätte sich entsprechend verkürzt. Für die konjunkturelle Wirkung der Finanzierung von Staatsausgaben durch Anleihen kommt es also auf das Zusammenspiel von Zentralbank und Geschäftsbanken an.

Staatskonkurs ausgeschlossen

Solange die begebenen Anleihen in eigener Währung denominiert sind, besteht auch überhaupt keine Gefahr, dass es zu einer Situation kommen könnte, in der diese Schuldtitel nicht bedient werden. Ein in eigener Währung verschuldeter Staat kann nicht Konkurs gehen. Seine eigene Zentralbank kann jederzeit und unbegrenzt Anleihen zurückkaufen. Ob ein inländischer oder ausländischer Kreditor das Papier vorlegt, spielt keine Rolle.

Steuern verwandeln private in staatliche Konsumchancen

Ein dritter Weg, seine Ausgaben zu finanzieren, besteht für den Staat in seiner einzigartigen Kraft, in seinem Hoheitsgebiet Steuern zu erheben. Mit diesen Steuern eignet sich der Staat einen Teil des Bruttonationaleinkommens an und entzieht diesen Teil damit dem nichtstaatlichen Sektor, dessen Konsummöglichkeiten in gleicher Höhe reduziert sind. Für die konjunkturelle Wirkung ist entscheidend, wie der Staat seinen fiskalischen Mix gestaltet: Wie groß sind die Ausgaben im Verhältnis zu den Steuereinnahmen? Wem werden Steuern in welcher Höhe auferlegt? Wird ein eventuelles Defizit durch Anleihen finanziert, und in wessen Bilanz finden sich diese Anleihen?

Der Referenzrahmen: die Finanzierungssalden

In welchem Referenzsystem ist die Fiskalpolitik zu beurteilen? Der oberste und damit wichtigste Bezugsrahmen stellt das Zusammenspiel der Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren dar. Diese Sektoren sind der Staat selbst, die Unternehmen, der Privatbereich und das Ausland. Diese Sektoren verwenden das Bruttosozialprodukt zu 100 %. Insoweit der Anteil eines Sektors am Bruttonationaleinkommen kleiner als seine Verwendung ist, verschuldet er sich. Im umgekehrten Fall wäre er Nettosparer und würde damit zum Gläubiger. Die Salden aller Sektoren addieren sich zu Null.  Der Sektor „Ausland“ ist ein Spezialfall. Sein Anteil am BSP, den er nicht per Verschuldung verwendet, ist durch die Importe der Volkswirtschaft bestimmt. Verwendet das Ausland mehr, verschuldet es sich, verwendet es weniger, verschuldet sich die Volkswirtschaft gegenüber dem Ausland. Der Saldo der drei inländischen Sektoren ist gleich dem Leistungsbilanzsaldo. Der Staat bestimmt seinen Anteil am Bruttonationaleinkommen durch die Steuern, deren Höhe er selbst festlegt.

Die entscheidenden Daten: Sparen und Verschulden der anderen Sektoren

Aus diesem Referenzrahmen der Finanzierungssalden der Sektoren ergibt sich unmittelbar, dass die Fiskalpolitik nicht sinnvoll unabhängig von den übrigen Sektoren zu bestimmen ist. Sollte der Privatsektor sparen, ohne dass der Unternehmenssektor mit negativem Saldo, also Verschuldung, für die vom Privatsektor nicht vorgenommene Verwendung seines Anteils aufkommt, muss – wenn nicht das Ausland – der Staat in eine Verschuldungsposition gehen. Ansonsten misslingt der Sparversuch des Privatsektors. Die Konsumzurückhaltung des Privatsektors führt stattdessen zu einer Rezession. Hier zeigt sich, dass der Gesetz gewordene Gedanke der Konjunkturausgleichsrücklage zu kurz greift. Die Bildung einer wirklichen Rücklage wäre ja ein staatliches Sparen, das seinerseits nur durch die Verschuldung in den übrigen Sektoren ermöglicht würde. Wenn es diese Verschuldung nicht gibt, wirkt die Bildung der „Rücklage“ unmittelbar rezessiv. Die Verschuldung des Staates ist die wichtigste Größe, wenn es um die Absorption des Sparaufkommens anderer Sektoren geht. Auf den Sektor „Ausland“ als Nettoschuldner zu setzen, hieße, sich vom wirtschaftspolitischen Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verabschieden. Dieser Ausweg steht ohnehin immer nur einer der beiden Seiten der Handelspartner zur Verfügung.

Zusätzliche Staatsausgaben gegen die Rezession oder Steuersenkungen?

Im Fall von unausgelasteten Kapazitäten und Arbeitslosigkeit kann der Staat durch zusätzliche Ausgaben, finanziert mit zusätzlicher Verschuldung für Auslastung und Rückgang der Arbeitslosigkeit sorgen. Ebenso sorgt er für die Vermeidung einer Rezession, wenn er durch Verschuldung das Sparaufkommen absorbiert und damit für die Verwendung des wegen des Sparens nicht verwendeten Anteils des Bruttosozialproduktes sorgt. Er benötigt dafür keine Rücklagen. (Echte Rücklagen hätte er ohnehin erst, wenn zuvor alle Staatsschulden getilgt wären.) Die beabsichtigten Wirkungen würden mit höherer Wahrscheinlichkeit eintreten als bei zusätzlicher Staatsverschuldung durch Steuersenkungen, die zu Einkommenszuwachs im Privatsektor oder Unternehmenssektor führen. Auch dieser Weg ist grundsätzlich möglich. Die gewünschten Wirkungen hängen dann aber davon ab, ob die durch die Steuersenkungen Begünstigten das zusätzliche Einkommen konsumtiv oder investiv verausgaben und nicht etwa sparen. Diese gewünschte Wirkung wäre z. B. bei einer Senkung der Mehrwertsteuer im Lebensmittelbereich eher zu erwarten als bei einer Senkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommenssteuer.

Ist die Tilgung von Staatsschulden ein sinnvolles Ziel?

Wann ist die Rückführung der Staatsschulden sinnvoll? Der Schuldenabbau des Staates ist für sich überhaupt nicht sinnvoll. Der Staat ist kein normaler Schuldner. Sein Schuldenabbau müsste durch Ausgabenreduktion, durch höheres Steueraufkommen oder durch einen Mix beider Vorgehensweisen vorgenommen werden, und zwar bis zu einem solchen Punkt, dass es einen echten Budgetüberschuss (nicht lediglich einen Primärüberschuss) gibt. Der Staat zahlt Anleihen zurück und begibt in geringerem Umfang neue. Der Staat hätte damit den übrigen Sektoren mehr Geldvermögen entzogen, als er durch seine Ausgaben zurückgibt. Wenn das keine rezessive Wirkung haben soll, muss die staatliche Entschuldung in mindestens gleicher Höhe durch Neuverschuldung der übrigen Sektoren kompensiert werden. Da das in der heutigen Zeit kaum noch zu erwarten ist, ist der Staat auf Dauer gefordert, mit seiner Neuverschuldung das Sparaufkommen der übrigen Sektoren zu absorbieren. Nur wenige Länder können den Exportkanal für die Verschuldung des Auslandssektors nutzen und so auch den Staat in eine Sparposition bringen. Bei dieser merkantilistischen Politik steht Deutschland an erster Stelle.

Der größte anzunehmende Fehler: den Staat als normalen Schuldner beurteilen

Der Staat ist also aus mindestens zwei Gründen, und zwar aufgrund seiner Potenz wie aufgrund seiner Aufgabe, kein normaler Schuldner:
1. Weil er sich in eigener Währung selbst unbegrenzt Geldmittel verschaffen kann und, wenn er es denn möchte, auch noch bestimmen kann, wie hoch die Verzinsung ist, wenn er die Mittel am Finanzmarkt aufnimmt, oder auch bestimmen kann, dass eine Verzinsung nicht stattfindet oder an ihn selbst zurückläuft, wenn die Staatspapiere Teil der Zentralbankbilanz sind.
2. Weil er in Zeiten des Sparens der saldierten anderen inländischen Wirtschaftssektoren durch eigene Verschuldung die Nachfrage aufrechterhalten muss, ohne die die Volkswirtschaft in eine Abwärtsspirale rutscht.
Deutschland ist hier mit seinen Leistungsbilanzüberschüssen kein Beispiel, dass man es auch anders, durch Nutzung des Außenhandelskanals, machen kann. Es ist vielmehr ein Beispiel dafür, dass sich ein Land mit seiner Lohnzurückhaltung ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile erschleicht, die das Nachfrage-Problem bei den Handelspartnern weiter verschärfen.