Sparen ist das Problem – Schulden sind die Lösung!

Thesen gegen den populärsten deutschen Irrtum im Umgang mit Staatsschulden

In Deutschland sind Staatsschulden als Bestandgröße und Nettoneuverschuldung als Flussgröße unpopulär, sogar so unpopulär, dass sich im Jahr 2009 eine für eine Verfassungsänderung nötige Mehrheit fand, die die „schwarze Null“ als Schuldenbremse im Grundgesetz festschrieb.
Die dafür Verantwortlichen haben allerdings alles andere als staatsmännische Klugheit bewiesen. Sie haben vielmehr eine kaum zu überbietende wirtschaftspolitische Dummheit ins Werk gesetzt.
Diese Einsicht ist so weit vom Mainstream in Deutschland entfernt, wie sie für einen wachen Geist naheliegend ist, der bereit ist, auf seinen Intellekt den zwanglosen Zwang des besseren Arguments wirken zu lassen.

Im ersten Teil ist auf triviale saldenmechanische Zusammenhänge hingewiesen worden, die leider zu oft missachtet werden. Im zweiten Teil wurde auf die Wirkung der Staatsschulden, ihrer Verringerung sowie ihrer Vermehrung, auf das Geldvermögen im Privatsektor eingegangen, weiter auf die Frage nach einem unendlichen Fortbestand der Staatsschulden sowie ihrer stimulierenden Wirkung. Im dritten Teil der Reihe wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen Staatsschulden und Inflation, Verdrängung privater Investitionen  und der Belastung künftiger Generationen behandelt.

In diesem vierten und letzten Teil soll den Fragen nachgegangen werden, wie es in der Eurozone zu einer Staatsschuldenkrise kam, ob es im Gegensatz zu den hier vorgetragenen Thesen nicht doch eine schädliche Wirkung der Staatsschulden geben kann und was es so schwer macht, die rein sachlich betrachtet nicht sehr komplexen Zusammenhänge zu verstehen.

Wieso Staatsschuldenkrise?

Wenn Staatsschulden nicht (zumindest nicht grundsätzlich) das Problem sein sollen, sondern in vielen Fällen sogar die Lösung, wieso kam es dann im Anschluss an die Lehman-Krise in der Eurozone zu einer Staatsschuldenkrise?
Bis zur Lehman-Krise entwickelte sich die Staatsfinanzierung in der Eurozone unauffällig. Die Zinsen konvergierten für die beteiligten Staaten. Doch die Lehman-Krise schreckte die Finanzmärkte auf, und sie gewahrten eine Besonderheit der Eurozone, die ihnen bis dahin nicht aufgefallen war. Staaten mit eigener Währung und eigener Zentralbank können aus logischen Gründen nicht bankrottgehen, solange sie sich in eigener Währung verschulden. Schließlich kann die eigene Zentralbank alle Staatstitel im Austausch gegen selbst geschöpftes Geld zurücknehmen. Im Fachjargon tragen diese Zentralbanken auch die Bezeichnung „ Lender of last resort“. Die Finanzmärkte nahmen nun mit Erschrecken zur Kenntnis, dass die Eurostaaten über eine solche geldpolitische Souveränität nicht verfügen und die Gefahr eines Staatsbankrotts nicht völlig ausgeschlossen schien. Sie begannen, gegen einzelne Länder der Eurozone zu spekulieren, was die Zinssätze für deren Anleihen stark und auf Dauer untragbar in die Höhe schnellen ließ. Das alles ist Geschichte, seitdem sich die EZB mit einem neuen Präsidenten an der Spitze ihrer originären Rolle als Lender of last resort für die Euroländer besann und mit ihrer Quatitative-Easing-Politik die Zinsen für Staatsanleihen wieder konvergieren und auf ein sehr niedriges Niveau fallen ließ. Damit war der Euro vorerst gerettet und der Spuk der „Staatsschulden-Krise“ vorbei.

Können Staatsschulden nicht doch zum Problem werden?

Dieser Text, der mit dem Titel „Sparen ist das Problem – Schulden sind die Lösung!“ etwas keck überschrieben ist, würde Missverständnissen Vorschub leisten, wenn er so verstanden würde, dass er jeglichen Schulden das Wort redete. Ein solches Verständnis wäre in der Tat irreführend. Man stelle sich eine Volkswirtschaft vor, in der der Staat seine Bestandsschulden durch Neuverschuldung vermehrt bei zugleich negativem Leistungsbilanzsaldo, also Verschuldung der Volkswirtschaft gegenüber dem Ausland.
Insoweit es sich bei dieser Situation nicht um einen vorübergehenden Sonderfall handelt wie beispielsweise für Deutschland nach der Wiedervereinigung, ist sie alles andere als vorteilhaft oder wünschenswert. Im Fall der Verschuldung gegenüber dem Ausland kommt es zusätzlich noch darauf an, in welcher Währung und in welcher Rechtsordnung die Verschuldung denominiert ist, welche Teile der Volkswirtschaft die Schuldnerrolle übernommen haben und für welche Zwecke die Schulden eingegangen wurden.
Sollte der Staat Staatsanleihen in Fremdwährung begeben haben, zudem unter fremder Rechtsordnung und zum Zweck, inländische Sozialleistungen zu finanzieren, so bringt er sich auf Dauer in eine gefährliche Lage. Sie kann darin enden, dass die Volkswirtschaft gar keinen Zugang mehr zum internationalen Kapitalmarkt hat und große Schwierigkeiten auf sich lädt, an Devisen zu gelangen und den Zahlungsverkehr mit dem Ausland aufrecht zu erhalten.

Diese Probleme kann nur ein Land vermeiden, das über eine Währung verfügt, die die Rolle einer internationalen Leit- und Reservewährung erfüllt. Dieses Land – ersichtlich die USA – hat es allerdings auch nicht nötig, sich in Fremdwährung zu verschulden. Zudem akzeptieren alle ausländischen Lieferanten eine Bezahlung in Dollar, einer Währung, über die die USA volle Souveränität besitzt und die sie als allgemein akzeptierten Schuldschein unbegrenzt generieren kann.
Trotzdem bleibt auch für einen Staat mit einer derart privilegierten Volkswirtschaft ein fortdauernder negativer Leistungsbilanzsaldo, also eine fortdauernde Neuverschuldung gegenüber dem Ausland nachteilig. Nicht ohne Grund sucht die derzeitige US-Administration nach Wegen der Rückführung dieser Neuverschuldung gegenüber dem Ausland. Der eigentlich nicht schwer nachzuvollziehende Grund liegt darin, dass bei einem negativen Leistungsbilanzsaldo definitionsgemäß die Arbeitsplätze für die „auf Pump“ bezogenen Lieferungen und Leistungen im Ausland angesiedelt sind – zu Lasten des inländischen Arbeitsmarktes. Industrielle Struktur, die man nicht aufgebaut hat, um Waren zu produzieren, mit denen man die Importe bezahlt, oder eine solche industrielle Struktur, die verfiel und abgebaut wurde, weil anstatt inländischer Produkte ausländische bezogen wurden, führt zu einer Schwächung und Schädigung der eigenen Volkswirtschaft. Eine typische Folge ist Arbeitslosigkeit. In Deutschland tut man sich mit solchen Einsichten schwer, auch weil sie mit dem Stolz auf den deutschen Exporterfolg nicht vereinbar sind.

Staatsverschuldung und Auslandsverschuldung

In welcher Beziehung aber steht nun die Staatsverschuldung mit der Auslandsverschuldung, also die Neuaufnahme staatlicher Schulden mit einem negativen Leistungsbilanzsaldo? Auf der allgemeinsten Ebene gibt es nur diesen einen Zusammenhang: Die Finanzierungssalden aller Sektoren einer Volkswirtschaft (wozu in einer offenen Volkswirtschaft auch das Ausland zählt) sind gleich Null. Das Sparen eines oder mehrerer Sektoren ist gleich der Verschuldung im Bereich der übrigen Sektoren. Oder anders ausgedrückt, aber logisch gleichwertig: Der Einnahme-Ausgabe-Saldo des nichtstaatlichen und des staatlichen Sektors ist gleich dem Leistungsbilanzsaldo. D. h. die gesamtwirtschaftliche Bruttoersparnis einer Volkwirtschaft ist gleich der Auslandsverschuldung gegenüber dieser Volkswirtschaft; oder umgekehrt die gesamtwirtschaftliche Verschuldung der Volkswirtschaft ist gleich ihrer Verschuldung gegenüber dem Ausland.

Das alles sind keine empirisch zu überprüfenden Hypothesen, sondern „saldenmechanische“ Zusammenhänge, Gleichungen, die gültig sind aufgrund der Definitionen der makroökonomischen Buchhaltung. Über kausale Beziehungen ist damit nichts ausgesagt. Es ist vielmehr Aufgabe ökonomischer Analyse herauszufinden, wie es zu diesem negativen Saldo gekommen ist und welche Hebel bewegt werden könnten, diesem Phänomen entgegenzuwirken. Es bleibt aber unbenommen, dass die ökonomische Analyse und die Vorschläge zum praktischen Vorgehen fehlerhaft sind, wenn ihre Konzeption diesen makroökonomischen Zusammenhängen widerspricht.
Es wäre z. B. höchst fragwürdig, einen vorliegenden negativen Leistungsbilanzsaldo mit einer Rückführung der Staatsschulden bekämpfen zu wollen, weil man sich aus der oben angeführten Gleichung der Finanzierungssalden anzunehmen berechtigt fühlte, dass sich bei gleichbleibender oder sinkender Neuverschuldung des Privatsektors und bei sinkender staatlicher Neuverschuldung zwingend eine sinkende Neuverschuldung gegenüber dem Ausland ergeben muss, weil anders die Gleichung nicht erfüllt wäre. Womöglich würde tatsächlich der negative Leistungsbilanzsaldo kleiner – aber um welchen Preis? Statt die heimische Wirtschaft zu stärken, würde das Bruttonationaleinkommen sinken und eine Rezession hervorgerufen, das Einkommen des Privatsektors und die Steuereinnahmen sinken und die Staatsverschuldung deshalb nicht zurückgehen.
Auslandsschulden, die eine Volkswirtschaft auf sich genommen hat, um produktive Kapazitäten zu schaffen, deren Umsetzung über die Zeit auch die Tilgung der Schulden trägt, tragen dagegen zum Wachstum der eigenen Wirtschaft bei.
Normalerweise sollte man erwarten können, dass die Veränderung der Währungsparitäten die Ungleichheiten im internationalen Handelsverkehr und die daraus entstehende Verschuldung eines Landes dem Ausland gegenüber auf die Dauer verhindern würde, dass also ein Land mit einer Abwertung seiner Verschuldung gegenüber dem Ausland entgegenwirken kann. Für die USA steht dem die besondere Rolle des Dollar entgegen, für einzelne Länder im Euroraum liegt das Hindernis darin, dass sie nicht mehr über eine eigene Währung verfügen.

Was macht es – speziell auch für die Deutschen – so schwer, die Rolle der Staatsschulden zu verstehen?

Sich nicht zu verschulden bzw. Schulden plangerecht zu tilgen, wenn es denn sinnvoll war, Schulden aufzunehmen, ist eine nicht selbstverständlich verfügbare persönliche Kompetenz. Wer sie aufweist, kann das Verhältnis seines Vermögens, seines Einkommens und seiner Ausgaben steuern, ohne in Schwierigkeiten zu gelangen. Das will gelernt sein und ist nicht selbstverständliches Ergebnis erfolgreicher Erziehung und persönlicher Entwicklung. Wer diese Kompetenz besitzt, hat im besten Fall die Möglichkeit, Vermögen aufzubauen, das die eigene Unabhängigkeit und materielle Absicherung erhöht und den persönlichen Wohlstand vermehrt. Sie genießt in Deutschland zurecht hohe Wertschätzung. Aber was führt viele in Deutschland zu dem völlig unbegründeten Kurzschluss, diese Kompetenz des einzelnen privaten Wirtschaftssubjektes sollte auch die Leitschnur für die Fiskalpolitik abgeben? Schließlich würde doch schon für den Unternehmenssektor jegliche Entwicklung abgeschnürt sein, wenn alle Unternehmen darauf verzichteten, für neue Investitionen keinerlei Kredite aufzunehmen.
Es wird vielfach und zurecht darauf hingewiesen, dass die galoppierenden Inflationen und die Währungsreformen in der jüngeren deutschen Geschichte sich tief in das kollektive Unbewusste – wenn es denn so etwas geben sollte – eingegraben haben und eine deutsche Angst befeuern, verfehltes, weil zu ausufernder Verschuldung führendes staatliches Handeln könne erneut zu einem solchen Desaster führen. Dem liegt das Missverständnis zugrunde, Verschuldung eines einzelnen privaten Wirtschaftssubjektes mit der Verschuldung des Staates gleichzusetzen.

Private Verschuldung und staatliche Verschuldung sind etwas Verschiedenes

Worin unterscheiden sich nun die Verschuldung des Staates und die der Privaten? Es gibt fundamentale Unterschiede, was die Funktion der Schulden und was die Tragfähigkeit in Bezug auf die Schulden betrifft. Der Staat hat grundsätzlich die Verantwortung, aber auch die Möglichkeit, durch eigene Verschuldung für eine Auslastung der Wirtschaft und für Vollbeschäftigung zu sorgen. Wenn er über eine eigene Währung verfügt und damit auch über eine eigene Zentralbank und seine eigene Verschuldung ausschließlich in eigener Währung denominiert ist, besitzt er auch eine unbeschränkte Tragfähigkeit. Die eigene Zentralbank kann schließlich entweder alle Staatsschuldtitel durch selbst geschöpftes Geld zurückkaufen und sie ist ebenso in der Lage, die Kapitalmarktzinsen zu bestimmen. (Die Wirkungen auf die Währungsparitäten unterliegen allerdings nur eingeschränkt ihrer Kontrolle.) Es gibt auch die in vielen Staaten verpönte Möglichkeit der „Monetarisierung“ der Staatschulden mit direkter Finanzierung des Staates durch die Zentralbank. Die realwirtschaftlichen Möglichkeiten bleiben dagegen immer beschränkt. Nur im Rahmen dieser „realen“ Möglichkeiten kann die Staatsverschuldung ohne Induzierung von Inflation oder Leistungsbilanzdefizit umgesetzt werden. Die Aufgabe der Staatsverschuldung liegt darin, den „Schatz“ dieser ungenutzten realwirtschaftlichen Möglichkeiten zu heben, für ausreichende Beschäftigung zu sorgen und damit für eine Wohlstandsvermehrung. Diese Wirkung tritt ein, wenn der Staat mit seiner Verschuldung das Nettosparaufkommen eines anderen Wirtschaftssektors kompensiert, somit einer Rezession entgegenwirkt und damit das Sparen des anderen Sektors erst ermöglicht, oder wenn der Staat über die Absorption von Sparbeträgen hinaus die wirtschaftliche Tätigkeit ausweitet und die Beschäftigung vermehrt. Nichtstaatliche Verschuldung kann vergleichbare Wirkung haben: Private Immobilienkredite sorgen für Auslastung der Bauwirtschaft, wenn sie nicht lediglich dem Eigentumswechsel vorhandener Bauten dienen. Erst recht wirkt kreditfinanzierte Ausweitung der Produktionskapazitäten anregend und erweiternd auf die Gesamtwirtschaft. Im Unterschied zur staatlichen Verschuldung dient die privatwirtschaftliche Verschuldung aber nicht gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen, ihre gesamtwirtschaftliche Wirkung ist unbeabsichtigte Nebenwirkung.

Für alle, die es gerne in Form von Gleichungen lesen:

Aus Wikipedia:      https://de.wikipedia.org/wiki/Leistungsbilanz

Das Inlandsprodukt (Y) einer Volkswirtschaft ist zunächst die Summe aus Konsum (C), Investitionen(I), Staatsausgaben (G) und dem Saldo aus Exporten (Ex) und Importen (Im): Y=C+I+G+Ex-Im

Der Saldo aus Exporten und Importen wird auch als Nettoexport (Nx) bezeichnet, als Formel: Nx=Ex-Im Das Inlandsprodukt vermindert um Konsum und Staatsausgaben stellt die volkswirtschaftliche Ersparnis (S) dar, also: S=Y-C-G

Setzt man beide Formeln in die oberste Gleichung ein, erhält man nach Umformung den Zusammenhang zwischen Ersparnis und Investition auf der einen und Nettoexport bzw. Leistungsbilanzsaldo auf anderen Seite: S=I+Nx

Dies zeigt, dass der Saldo der Ersparnisse und Investitionen dem Leistungsbilanzsaldo entspricht.