„GadN“ !!??

Thielemanns verzweifelter Kampf gegen die These vom „Geld aus dem Nichts“

Als eine der inzwischen wenigen Stimmen lässt sich Ulrich Thielemann („GadN“) mit der These vernehmen, Geschäftsbanken wären gar nicht in der Lage, Geld aus dem Nichts zu schaffen, von ihm als GadN-These abgekürzt. Seine Argumentation ist allerdings eine diametral andere als meine Bedenken. Mein Anliegen ist die Vermeidung einer Redewendung, die aus meiner Erfahrung dem Verständnis des Finanzsystems für Laien unnötige Hindernisse in den Weg stellt – vielleicht aber auch, dialektisch gesehen, durch ihren provokativen Ton umgekehrte Wirkung haben kann.  (Zur Kritik der Redewendung: siehe …)

Nur Zentralbankgeld „wirkliches“ Geld?

Thielemann sieht die Potenz der Geschäftsbanken fälschlich überhöht beschrieben. Er schreibt allen Autoren, die sich, aus meiner Sicht mit Recht, gegen die Theorie der Ge-schäftsbanken als Intermediäre wenden, also gegen die Theorie des Weiterverleihens von Spareinlagen an Kreditnehmer, grundlegende Missverständnisse des Finanzsystems zu. Nach Thielemann ist nur Zentralbankgeld wirkliches Geld, als Bargeld in den Händen der Nicht-banken oder als Forderung der Geschäftsbanken an die Zentralbank (Zentralbankguthaben). Thielemanns Begründung: Nur durch den Fluss dieses wirklichen Geldes werden Zahlungs-flüsse finalisiert. Das Guthaben auf dem Girokonto weist nach Thielemann lediglich eine Forderung auf Geld aus. Das „wirkliche Geld“ befände sich im Besitz der Bank, die es als Aktivum auf ihrem Buchhaltungskonto „Kasse“ (Forderungen gegenüber der Zentralbank) ausweist. Sollte ein Girokontoinhaber eine Rechnung per Überweisung begleichen wollen, würde die Bank durch Belastung ihres Buchhaltungskontos „Kasse“ die Zahlung an seiner Stelle durchführen. Bei Überweisung auf ein anderes Konto bei derselben Bank wird im glei-chen Zug mit der Gutschrift bei dem Empfänger (im Haben des Passivkontos) die „Kasse“ im Soll (des Aktivkontos) bebucht. Damit hat sich nach Abschluss dieser Überweisung im Konto „Kasse“ der Geschäftsbank keine Veränderung ergeben. Für Thielemann liegt in der Nutzung des Zentralbankgeldkontos „Kasse“ der Geschäftsbank selbst bei Überweisung zwischen zwei von ihr selbst geführten Konten der Nachweis, dass für alle Zahlungsflüsse „wirkliches Geld“, also Zentralbankgeld nötig ist. Die Überweisung zwischen zwei Konten bei ein und derselben Geschäftsbank sei deshalb kein sogenannter Passivtausch, also eine Be- und Entlastung von Passivkonten mit demselben Betrag ohne Veränderung der Bilanzsumme.

Alles nur eine Frage der Definition …

Allen, die den Geschäftsbanken die Giralgeldschöpfungsfähigkeit durch Kreditgewährung zuschreiben, hält Thielemann entgegen, dass die eingeräumten Kreditsummen erst abgeru-fen werden müssten, um den Kreditvorgang vollständig werden zu lassen, d. h. die Kredit-nehmer müssten die Summe sich bar auszahlen lassen oder sie woanders hin überwiesen haben. Für beides sei wirkliches Geld notwendig. Dann würde auch deutlich, dass das Geld nicht aus dem Nichts geschöpft worden sei.
Man kann die Begriffe so definieren, dass nur Zentralbankgeld „wirkliches“ Geld ist und Gi-ralgeld nur Anspruch auf „wirkliches“ Geld. Dann hätte sich Thielemann aber seine aufwän-dige Argumentation auch sparen können. Wir müssten uns nur bequemen, uns die die neue Redewendung anzugewöhnen, die Geschäftsbanken könnten „Anspruch auf Geld“ nach Be-lieben schöpfen, statt Geld selbst.

Kaufkraft durch Kredit versus Zahlungsverkehr mittels Zentralbankgeld

Thielemann scheint nach meinem Eindruck zwei Sachverhalte unzulässig zu vermengen: Die Schaffung von Zahlungs-/Kaufkraft durch die Kreditgewährung der Geschäftsbanken und die Rolle des Zentralbankgeldes und der Zentralbank für einen störungsfreien Zahlungsverkehr. Für die Schaffung von Kaufkraft ist nicht, zumindest nicht immer und jedenfalls nicht unmit-telbar, Zentralbankgeld notwendig, erst recht kein neues, zusätzliches Zentralbankgeld. In der Ausübung der Zahlungs-/Kaufkraft (Abrufen des Kredits) kann Zentralbankgeld ins Spiel kommen:

  1. wenn der Kreditkunde sich die Summe zur weiteren Verwendung bar auszahlen lässt,
  2. wenn bei einer Überweisung auf ein anderes Konto bei derselben Bank das Buchungskonto „Kasse“ als Verrechnungskonto angesprochen wird, weil dieses Konto die Zentralbankgeldforderungen der Geschäftsbanken ausweist,
  3. bei Überweisung auf ein Konto bei einer anderen Bank, weil der Saldenausgleich im Giralgeldverkehr zwischen den Geschäftsbanken grundsätzlich mit Zentralbankgeld ausgeglichen wird,
  4. wenn der Kreditkunde mit dem Kreditbetrag Steuerschulden begleichen will und sein frisch aufgefülltes Konto also wieder belastet wird und das Zentralbank-Konto der Geschäftsbank zugunsten des Fiskus in gleicher Höhe belastet wird.

Dass Zentralbankgeld für den Zahlungsverkehr eine konstituierende Rolle spielt, wird, soweit ich die Literatur überblicke, von niemandem bestritten. Die kreditbasierte Zahlungs- oder Kaufkraftgenerierung der Geschäftsbanken ist selbstverständlich auch nur möglich durch ihren (staatlich lizensierten) Anschluss an das Zentralbanksystem, indem sie bei der Zentral-bank über ein eigenes Konto verfügen. Sie benötigen es für den Zahlungsverkehr, den auch die von ihnen generierte Kaufkraft in Anspruch nimmt.

Geschäftsbanken, nicht die Zentralbank schaffen Kaufkraft

Diese Zahlungs-/Kaufkraft ist durch Kredit geschaffen worden, die Zentralbankgeldmenge muss deshalb nicht zwingend gewachsen sein. Wenn die durch den Kredit gewachsene Giral-geldmenge nur innerhalb der Konten derselben Geschäftsbank zirkuliert oder wenn der Gi-ralverkehr zwischen den Banken keine Saldenverschiebung durch den Kredit erfährt, „fließt“ kein Zentralbankgeld und wurde erst recht kein neues benötigt. Jenseits diffiziler juristischer Reflexionen über „Schuldbefreiung“ im Zahlungsverkehr halte ich alleine die Entfesselung der Zahlungs-/Kaufkrafterzeugung durch die Kredite (und Käufe) der Geschäftsbanken für ökonomisch relevant. Denn diese Erzeugung ist, technisch gesehen, nicht begrenzt.

Die Welt der Golddeckung ist obsolet

Einlagen, Sichteinlagen, das sind Begriffe, die ebenso wie Schöpfung aus dem Nichts oder Vernichtung dazu verleiten, sich in seinem das Finanzsystem betreffenden Referenzrahmen in der obsoleten Welt der Golddeckung aufzuhalten: die Einlage, weil man physisch etwas deponiert hätte und damit der Bank anvertraut hätte, die Schöpfung und Vernichtung, weil an die Stelle des Goldes ein anderes ominöses Wertäquivalent getreten wäre, das im Kredit-prozess aus Nichts entsteht und im Tilgungsprozess zu Nichts vernichtet wird.
Verbreitet und ebenfalls diesem Referenzrahmen zugehörig ist die Vorstellung, man habe mit dem Sichtguthaben, das das eigene Girokonto ausweist (oder auch das Sparbuch), der Bank einen Kredit gegeben, ihr also Geld anvertraut. Das mag für Zeiten, in denen Edelmetallmünzen ein Zahlungsmittel waren, eine angemessene Beschreibung sein. Heutzutage hat man einfach Geld, indem man ein Sichtguthaben oder Bargeld besitzt. Man hat schließlich bei dem Bargeldbesitz der Zentralbank auch nichts anvertraut oder ihr einen Kredit gegeben.

Wer sein Bargeld bei einer Geschäftsbank einzahlt, leiht es ihr nicht oder vertraut es ihr nicht an, sondern wechselt die Form seiner Zahlungskraft bzw. seines Geldvermögens (um es für alle, die den Geldtitel dem Zentralbankgeld vorbehalten wissen wollen, erträglich auszudrücken), selbstverständlich verbunden mit dem Vertrauen, dass die Geschäftsbank nicht illiquide und von der Zentralbank im Stich gelassen wird.

Ein Blick in die Bilanzen zeigt: keine direkte Wirkung der Kreditausweitung auf Zentralbankgeldmenge

Dass die neue, zusätzliche Zahlungskraft durch Kredite der Geschäftsbanken und nicht auf Veranlassung durch die Zentralbank in die Welt kommt, lässt sich auch ausgehend von einer Betrachtung der Bilanzen der Zentralbank und des aggregierten Geschäftsbankensektors deutlich machen: In der Zentralbankbilanz stehen auf der Passivseite die Positionen umlau-fendes Bargeld, Reserven der Geschäftsbanken und die Regierungsdepositen.
Die Menge der Reserven kann sich nur verändern, wenn es in der Zentralbankbilanz Verän-derungen in folgenden Positionen gibt: Aktiva (Kauf oder Verkauf durch die Zentralbank, die einzige Reservenänderung, die die Zentralbank unmittelbar selbst in der Hand hat), Bargeld-haltung (der Wunsch von Nichtbanken, Bargeld statt Sichtguthaben zu halten), Regierungs-ausgaben, die von ihren Einnahmen positiv oder negativ abweichen.

Erwerb von zusätzlichen Aktiva durch die Zentralbank erhöht den Reservenbestand im Ge-schäftsbankensektor, sinkende Neigung zur Bargeldhaltung ebenfalls und Nettostaatsver-schuldung (mehr Staatsausgaben als –einnahmen) auch. Die entgegengesetzte Bewegung dieser drei Größen lässt die Reservenmenge des Geschäftsbankensektors sinken.
Die vom Geschäftsbankensektor ausgegebene Kreditmenge hat für die Reservenmenge also keine direkte Wirkung. Erst wenn es z. B. zu Ungleichgewichten im Zahlungsverkehr kommt, könnte es für Banken, die ehrgeizig Kredite vergeben haben und Zentralbankgeldabflüsse verzeichnen müssen, ohne sich auf dem Interbankenmarkt refinanzieren zu können, nötig werden, bei der Zentralbank Aktiva für Zentralbankgeld einzutauschen.

Die Kredite sind entscheidend

Wenn wir jetzt die Bilanz des aggregierten Geschäftsbankensektors betrachten, ergibt sich, dass mit Erhöhung der Kreditforderungen auf der Aktivseite die „Einlagen“ auf der Passivseite in gleicher Höhe gestiegen sind. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der Geschäftsban-kensektor keine Veränderung in den Bilanzpositionen Reserven, andere Aktiva wie Anleihen und im Eigenkapital erfahren hat. Wenn sich also in diesem Sinne nur die Kreditmenge er-höht, erhöhen sich zwangsläufig in gleicher Höhe die Giralguthaben auf der Passivseite. Eine Veränderung der Reserven braucht es also für die Kreditausweitung, also die Bereitstellung neuer Zahlungskraft nicht (zumindest nicht unmittelbar).
Für eine einzelne Bank kann es sich allerdings so darstellen, dass die Kreditgewährung auf Kosten ihrer Reserven läuft, dann z. B. wenn die bereitgestellte Zahlungskraft per Überwei-sung zu anderen Geschäftsbanken abwandert. Die Reservenmenge des Geschäftsbankensektors ändert sich aber auch dann nicht, weil die zahlungsempfangene Geschäftsbank eine ent-sprechende Erhöhung ihres Reservenbestandes verzeichnet. Die Menge der Reserven des Geschäftsbankensektors ist erst dann unmittelbar berührt, wenn der Kreditnehmer sich den Betrag bar auszahlen lässt. Das ist aber Folge des Wunsches, Bargeld zu halten und nicht des Kreditprozesses und tritt auch ein, wenn jemand ohne Kredit zu nehmen sein Sichtguthaben in Bargeld umwandeln möchte.