pecunia ex nihilo? Geld aus dem Nichts?

Können Geschäftsbanken wirklich „Geld aus dem Nichts“ schöpfen? Wenn die Banken dies mit Gold (als Geld) könnten, wäre Gold wohl ziemlich wertlos, es sei denn den Banken gelänge es, ein Kartell zu bilden und die Produktion von Gold dadurch einzugrenzen. Mathias Binswanger hat sein sehr lesenswertes Buch „Geld aus dem Nichts“ (Binswanger) betitelt, im angelsächsischen Sprachraum spricht man von einem Griff in dünne Luft („out of thin air“). Diese Redeweise vom Geld aus dem Nichts bedient die Vorstellung, die Banken schüfen etwas Substanzielles und stellt es zugleich als ein eigenartiges Mirakel dar. Sie lässt die Angelegenheit allerdings auch unglaubwürdig erscheinen, glaubt doch jeder aus seiner Alltagserfahrung zu wissen, dass Geld hart erarbeitet werden muss, als erfolgreiche Spekulation eingestrichen werden muss oder durch Antritt einer Erbschaft oder auf welchen anderen Wegen auch immer erworben werden muss. Also: „Von nichts kommt nichts!“ Diese Alltagserfahrung widerspricht allerdings der creatio ex nihilo von Geld logisch nicht, sie betrifft ja den Erwerb und nicht die Entstehung von Geld.

Kann Geld arbeiten?

Die Skepsis gegenüber der Schöpfung aus dem Nichts hindert den Alltagsmenschen nicht daran, an so etwas wie die Fruchtbarkeit von Geld zu glauben, dass Geld aus sich heraus neues gebären könne.  Diese Erfahrung aus inzwischen vergangenen Tagen wird anstelle der biologischen Metapher auch mit der Redeweise „Das Geld arbeitet“ beschrieben, das Ergebnis der Arbeit sei der Zins (neoklassisch: Preis des Kapitals, Vergütung für den Aufschub des Konsums in die Zukunft). Nun wird darüber geklagt, dass diese Zeiten verflossen sind und die EZB durch Zinssenkung das Geld aus seinem Beschäftigungsverhältnis gekündigt und in die Arbeitslosigkeit geschickt hat, paradoxerweise mit dem Versuch, Geld durch Verbilligung wieder bei Unternehmen als Investitionskredite in ein „Beschäftigungsverhältnis“ zu befördern. Der Unwille des Alltagsmenschen, die Geldschöpfung aus dem Nichts zu akzeptieren, liegt jedenfalls nicht an der fehlenden Bereitschaft, Mirakel zu glauben. Womöglich ist die behauptete Fähigkeit der Banken angesichts der Zinslosigkeit ein besonderes Ärgernis.

Die Dokumentation schafft nicht das Geld!

Wie wird nun diese ominöse Potenz der Geschäftsbanken, Geld aus dem Nichts zu schöpfen, von den Geldtheoretikern, die diese These vertreten, gemeinhin erklärt? Sie schreiben es angeblich einfach hin, sie tippen es in die Tastatur ein, und schon sei es da, in einer Excel-Tabelle, als Gutschrift auf dem Girokonto. Wird die ganze Angelegenheit durch diese Erklärung glaubwürdiger? Natürlich nicht! Psychologisch gesehen werden vielmehr Zweifel gestärkt. Logisch gesehen handelt es sich um eine petitio principii: Was es zu erklären gilt, wird in der Erklärung vorausgesetzt. Statt Geld aus dem Nichts zu schaffen, heißt es jetzt, Geld durch Hinschreiben oder Eintippen schaffen. Die schwäbische oder auch holsteinische Hausfrau denken: „Dann könnte ich ja meine Tochter zum Kolonialwarenladen schicken. Ich geben ihr den Einkaufszettel mit. Und damit sie bezahlen kann, schreibe ich auch noch das nötige Geld mit auf, dann brauche ich ihr keine Taler mitzugeben.“ Halt! sagt der Fachmann, die Hausfrau ist keine Bank, das können nur Banken. Womit wir bei der offenen Frage bleiben, woher diese unglaubliche Potenz der Banken herkommt, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Ein simples Aufschreiben kann es nicht sein. Das Aufschreiben kann nur ein begleitender Dokumentationsprozess sein, eine Buchhaltung eben.

Kann die Bank Spargroschen weiter verleihen?

Die Rätselhaftigkeit der Geldschöpfung wird von den meisten Menschen gar nicht wahrgenommen, und wenn sie zufällig mit dieser Theorie in Kontakt kommen, häufig als Ärgernis zurückgewiesen. Sie erklären sich die Geldwelt meistens anders und werden von vielen Volkswirten in ihrem Glauben bestätigt: „Die Banken schaffen kein Geld, sie erhalten es von den Menschen, die es zur Bank bringen, die es ihrerseits weiterverleiht.“ Im Fachjargon heißt es: Banken sind Intermediäre. Schließlich nennt man das Geld, das jemand auf seinem Girokonto hat, auch „Einlage“, es „liegt“ auf dem Konto und soll liegend arbeiten. Das Konto wird als Depot angesehen, wie der Bauer eine Scheuer hat, wo er das Heu als Viehfutter für den Winter einlagert. Dieses Bild vom Geld, das der Bank zur Verwahrung anvertraut wurde, das als „Einlage“ auf dem Konto liegt, ist im Alltagsverständnis tief verwurzelt, obwohl es der Praxis nicht mehr entspricht und auch für die Erklärung des Weiterverleihens der Einlage als Kredit völlig untauglich ist. Wer bei der Sparkasse ein Girokonto führen lässt oder ein Sparbuch besitzt und auf die Idee kommen sollte, vorstellig zu werden und nachzufragen, ob das Geld denn noch auf dem Konto da sei, wird wohl Verwunderung auslösen und die Auskunft erhalten, im Rahmen der Fälligkeit jederzeit über das Geld verfügen zu können, ohne bei dem Mitarbeiter der Bank Überlegungen auszulösen, wie er denn das verliehene Geld vom Kreditnehmer zurückholen könne. Die Bank hat es also gar nicht weiterverliehen. Es „liegt“ nach wie vor auf dem Konto! Trotzdem ist, wie ich aus Bankkreisen höre, selbst unter Bankmitarbeitern die Vorstellung noch weit verbreitet, die Bank hätte einen großen Geldtopf (auf der Aktivseite der Bilanz), in den alle Einlagen, seien es Spargroschen oder eingehende Überweisungen, hineinfließen und aus dem auch durch Entnahme unter anderem alle Kredite realisiert würden.

Das Kreditgeschäft als Quelle der Kaufkraftvermehrung

Die Redeweise von der „Geldschöpfung aus dem Nichts“ bedient Geldvorstellungen aus der versunkenen Welt der Golddeckung und soll zugleich die neue Welt des „fiat“-Geldes erläutern. Grundsätzlich besser wäre es, man verzichtete ganz auf diese Redeweise. Sie stellt nach meinen Erfahrungen eher ein Hindernis dar auf dem Weg, das moderne Geldwesen zu verstehen. Geld ist heute Kredit. Die neue zusätzliche Zahlungs- oder Kaufkraft entsteht oder besser wird hergestellt durch das Eingehen eines Kreditvertrages zwischen zwei Parteien, von denen die eine Partei eine Geschäftsbank ist. Beide Seiten räumen sich gegenseitig eine auf einen bestimmten Währungsbetrag denominierte Forderung ein und verpflichten sich ipso facto gegenseitig zu einer entsprechenden Verbindlichkeit. Diese Verbindlichkeit steht bei beiden Parteien jeweils bilanziell der entsprechenden Forderung gegenüber. Die Bank garantiert kraft ihres Anschlusses an das Gironetz (Verfügung über Zentralbankgeld) die unbeschränkte Transferierbarkeit der Forderung gegen sich selbst, durch Barauszahlung oder Überweisung. Diese Forderung kann also nach Transfer eine dritte Partei gegen dieselbe Bank halten kann und/oder auch zu einer Forderung gegen eine andere Geschäftsbank werden oder auch als Bargeld zu einer Forderung gegen die Zentralbank werden. Der Kreditnehmer verpflichtet sich umgekehrt zu der vereinbarten Tilgung inklusive Zins. Er kann nun aufgrund des Kredits Kaufkraft ausüben, über die er zuvor nicht verfügte, indem er seine Forderung gegenüber seiner Geschäftsbank an andere weiterreicht, von denen er irgendwelche Leistungen erhalten möchte. Dieser durch den Kredit vermehrten Kaufkraft steht nirgendwo eine verminderte Kaufkraft gegenüber. Erhält der Kreditnehmer z. B. durch Erbringung von Leistungen (Arbeit, Dienstleistungen, Produkte) an andere von denen selbst solche Forderungen gegen eine Geschäftsbank, kann er diese Forderungen an seine kreditgewährende Geschäftsbank zwecks Kredittilgung weiterreichen.

Geldvernichtung durch Kredittilgung?

Analog zur Geldschöpfung aus dem Nichts wird dann im Fachjargon von der Geldvernichtung gesprochen. Warum aber sollte man so etwas Wertvolles und Nützliches wie Geld absichtlich vernichten, mag sich der Alltagsverstand ungläubig fragen. Es wird auch nichts vernichtet! Eine Forderung der Geschäftsbank an den Kreditnehmer hat eben dieser erfüllt, und im Ausmaß dieser Erfüllung ist die ausstehende Kreditsumme gesunken, damit per Saldo auch die Gesamtkaufkraft (auch als Geldmenge M1 dargestellt). Der Kreditnehmer hat für einen Teil seines liquiden Geldvermögens auf die Ausübung der Kaufkraft verzichtet und stattdessen die Möglichkeit der Tilgung, der Forderungserfüllung genutzt. Es wäre eine merkwürdige Dramatisierung in der Redeweise, wenn wir von der Vernichtung der mit einer Bitte verbundenen Erwartung sprächen, wenn der mit der Bitte Angesprochene die Bitte erfüllt hat. Die Erwartung ist erfüllt und der zuvor etwas Erwartende erwartet es nicht mehr. Genauso, wie die Erwartung des Zuges an der Bahnsteigkante bei Eintreffen des Zuges endlich erfüllt und nicht vernichtet ist. Das Bild der Vernichtung gehört ebenso wie das der „Schöpfung“ der nicht mehr gegebenen Welt einer Wirtschaft mit einer Geldware als allgemeinem Äquivalent an.

Geld als Relation zweier Parteien

Wir müssen uns aber klar machen, dass Geld heute nichts als eine Forderung ist, d. h. einer Relation zwischen zwei Parteien, die aufgrund ihrer unbeschränkten Transferierbarkeit Kaufkraft darstellt, und dass diese Kaufkraft durch Kredite unbeschränkt erweitert werden kann, nicht aus dem Nichts, sondern z. B. im Gegenzug zum Tilgungs- und Zinszahlungsversprechen des Kreditnehmers. Die damit für die Geschäftsbanken gegebene Forderung gegenüber dem Kreditnehmer ist nicht unbeschränkt transferierbar und hat damit nicht Geldcharakter, stellt so nicht unmittelbar neue Kaufkraft dar. Obwohl auch Banken Wege gefunden haben, durch Verbriefung von Kreditforderungen selbst an neue Liquidität zu gelangen oder sich schlechter Risiken auf Kosten anderer zu entledigen, haben sie es grundsätzlich nicht nötig, von dritter Seite Kaufkraft zu erlangen.

Womit begleichen Banken ihre Rechnungen?

Sie zahlen schließlich mit dem Einräumen einer Forderung gegen sich selbst. In der Darstellung „Geld und Geldpolitik“, S. 77 der Bundesbank, die in der Sache der kreditbasierten Geldentstehung entspricht, sich aber auch der bildlichen Sprachweise der Entstehung aus dem Nichts bedient, nennt sie auch den Ankauf von Vermögenswerten als Quelle der Geldschöpfung. Tatsächlich bezahlen Geschäftsbanken aber alles, Löhne, Heizkosten und Briefmarken, mit neuem Buchgeld, das sie ihren Arbeitnehmern oder Lieferanten gutschreiben. Wie könnten sie auch anders, welches Geld sollten sie auch sonst nehmen? Das Geld eines x-beliebigen Sparers oder Girokonten-Inhabers können sie jedenfalls nicht nehmen. Beide haben eine Forderung gegen die Bank. Wie könnte die Bank diese Forderungen gegen sie selbst Dritten überschreiben? Die Inhaber der Forderung, Sparer oder Girokonten-Inhaber müssten dann auf ihre Forderung verzichten. Allerdings ist für die Zahlung von Steuern oder den Kauf z. B. von Wertpapieren bei anderen Inhabern eines Zentralbankkontos, Geschäftsbanken also, Zentralbankgeld fällig. Bei den durch neues Buchgeld finanzierten Löhnen, Heizkosten und Briefmarken wird die Gegenbuchung nicht auf einem aktiven Vermögenskonto wie bei Immobilien oder Wertpapieren sondern auf passiven Aufwandskonten, also nicht als Bilanzverlängerung sondern gewinnmindern verbucht.

Die Existenz des Nichts als Quelle wird fortdauern!

Die Redeweise von der „Schöpfung des Geldes aus dem Nichts“ wird nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein. Autoren, die sich dieser Redeweise bedienen, haben in der Darstellung des Geldwesens in der modernen Welt des „fiat“-Geldes durchwegs Recht. Autoren, die das Giralgeld durch das Weiterverleihen von Einlagen oder zusätzlich durch den Multiplikatorprozess erklären, stellen das Geldsystem falsch dar. Das ändert aber nichts daran, dass die Redeweise „aus dem Nichts“ für die Akzeptanz des einzig richtigen Verständnisses unseres Schuldgeldsystems nicht förderlich ist.